Wir bekommen etwas spontan (nur 6 Wochen Vorlauf) die Anfrage, in Erfurt für eine ausgefallene Iron Maiden Coverband einzuspringen. Club From Hell ist super, fast alle Musiker können, jawoll!
Das bedeutet natürlich nicht, dass wir umschulen müssen, sondern wir dürfen durchaus AC/DC spielen statt Iron Maiden. Und vor einem Jahr waren wir ja schon mal hier. Damals nicht so dick besucht und etwas verhaltene Stimmung.
Ich schreib jetzt mal ein langes Tagebuch weil es das letzte in 2024 ist. Streicht einfach raus was euch nicht gefällt.
Wie wir gelernt haben – die Tagebuchleser und ich – sind Muggen mit Mike an der Technik dadurch speziell, dass schlaftrunkene Musiker morgens am Veranstaltungstag im einstelligen Uhrzeitbereich per Telefon geweckt werden.
So fragt Mike Sa früh 9:30 Uhr nach wie das denn nun zeitlich und organisatorisch abläuft. Hatte ich eigentlich mit dem Veranstalter abgefunkt. Aber gut. Im Club From Hell steht richtig guter Backline-Kram. Peavey Gitarrenboxen, Bassanlage, das Drumset von Macbeth. Weil das alles noch auf der Bühne steht von letztem Sonnabend möchte Mike möglichst wenig umräumen. Und wir müssen fast nichts mitbringen. Auch gut.
14:00 Uhr ist Robin bei mir. Wir zwei fahren alleine los, weil der F heute nicht kann. Für den F springt mal wieder Steffen Vorst ein und der kommt separat aus anderer Richtung. Der Volvo steht noch unberührt da von letzter Mugge in Altenburg. Wir nehmen ihn gleich so. Es ist alles drin und viel mehr als wir heute brauchen. Dachte ich da noch.
Und ab. Pünktliche Ankunft nach Plan um 15 Uhr in Erfurt. Sogar diesmal kurz vor den Schönes. Aufbau läuft wie geschmiert. Mike und Marko vor Ort kennen uns nun schon. Und wir sie auch. Und ich fühle mich heute super vorbereitet. Letztes Mal wurden wir einigermaßen verächtlich verachtet wegen unseres verlebten Backdrops. Wer das Tagebuch vom 30.09.2023 vergleicht versteht was ich meine.
Heute sind wir auf alle Konfrontationen vorbereitet. Denn wir haben ein NEUES, von einer PROFI-Firma angefertigtes, mit Ösen, aus leichtestem Stoff, mit hochauflösendem Druck unseres echten Bandlogos, und mit Zerflammungszertifikanz. Vorher hatten wir das komplett in Eigeninitiative gelöst wie Ossis das halt gewohnt sind. Wir kommen überhaupt nicht auf die IDEE dass es da jemanden gibt der sowas professionell anbietet. Also zumindest bei mir steckt das immer noch so fest. Ich versuche immer alles selber zu lösen weil ich nicht darauf komme, daß ich das bloß bei einer Suchmaschine eingeben müsste.
Früher sind wir zuerst einfach aufgetreten. Ohne uns allzu offensiv zu erkennen zu geben. Zumindest ich habe mich anfangs immer sehr geschämt. Die Schönes sind da schmerzloser. Aber irgendwann kamen wir uns nackich vor weil immer die ganzen anderen Bands hinten was an die Bühne gehängt haben wo ihr Name drauf stand. Wenn wir mit anderen Bands gespielt haben war es dann anfangs so, daß niemand Crayfish auf dem Schirm hatte, aber alle Bands mit denen wir gespielt haben langsam wieder verschwanden weil immer die Leute dachten wir wären die, weils so hinten dranstand und die waren ja zum Davonlaufen also wirklich.
Wie das mit dem Backdrop zu lösen wäre war uns ganz unschlüssig. Keine Idee. Ich schmeiße hier arrogant mit Fachbegriffen rum die auch uns damals völlig fremd waren. Für alle Quereinsteiger – das englische „Backdrop“ – „Hintergrund“ beschreibt das, was das Publikum hinter der Band unter der Lichtanlage sehen kann, falls es da nicht reintönig schwarz ist oder man irgendwelches Gerümpel auf dem Feld dahinter sieht. Normal steht da drauf wer grad spielt.
Durch einen Zufall trafen wir auf einen pfiffigen und der Band wohlgeneigten Airbrusher. Das Gesicht seh ich noch vor mir. Den Namen habe ich vergessen, verdammt. Steffen wird ihn noch wissen? Wir kamen schnell überein und besorgten ein großes leichtes Stück Stoff. Dieses Modell hielt leider nicht viele Jahre.
Als es zerfloss waren wir zunächst rat- und backdroplos. Dann fiel uns ein dass wir einen weiteren Airbrusher kannten. Warum ich immer auf Airbrush beharre? Das Crayfish-Logo besteht aus harten Konturen mit komplexen Farbverläufen. Ich habe das in gefühlt tausendstündiger Arbeitszeit im Jahr 2001 entworfen. Damals waren aber auch immer 17 min Wartezeit nach jedem Schritt im Grafikprogramm wegen Arbeitsspeicher und Prozessor, die beide Crayfish nicht gewachsen waren.
Digitaldruck gab es noch nicht. Siebdruck war Blödsinn bei so ner Fläche. Plotten aus Klebefolie ging nicht mit Farbverläufen. Das erste Second Floor Backdrop hatten wir noch geplottet fällt mir jetzt ein. Ohne Verläufe. Und als Grundmaterial hatten wir schwarze Teichfolie genommen. Um die geplottete Logo-Folie aufkleben zu können. Das Ding war UNGLAUBLICH schwer. Konnten wir fast nie aufhängen weil dann immer die Bühnen nach hinten umfielen.
Egal – jedenfalls konnte uns Tom schnell und unkompliziert helfen. Tom Kroneberger, Airbrusher und Tätowierer in Stadtroda, und normalerweise Sänger bei den Limited Booze Boys.
Steffen kümmerte sich um den Untergrund. Seine Mutter hat wohl 4 abgenutzte (hüstel) Bettlaken rechteckig zusammengenäht. An dem sich ergebenden Maß entwickelte ich eine Datei für zumindest eine Schablonenfolie. Das war damals so ein dünnes einseitig klebendes Material, was mit einem Plotter geschnitten werden konnte. Zur Umrisssicherung des komplexen Logos. Das wurde dann auf die zusammengenähten Bettlaken geklebt. Und dann hat Tom erneut unser Logo in den Umriss reingebrusht mit allen Farbverläufen so gut es ging, die Umrissfolie abgezogen und rundherum alles bis ran schwarz gesprüht.
Das haben wir dann die restlichen 20 Jahre lang als Backdrop verwendet. Durch den vielen Gebrauch und mangels Verstärkung an den Zugstellen litt es stark. Sehr stark.
Aber nun hat es ausgedient und sein Nachfolger macht den Job. Mike und Marko haben keine Beschwerden mehr. Wegen drei Bands hängen wir die drei Backdrops in der richtigen Reihenfolge voreinander auf. Das ist so eine Art riesiges Daumenkino.
Inzwischen wissen wir ja auch, daß es im Club From Hell ZWEI Backstagebereiche gibt, einen backstage und einen upstairs. Wir fühlen uns also schnell zu Hause. Plangemäß treffen Hardholz ein, etwa 16 Uhr. Wir trafen uns schon auf anderer Bühne, diesmal ist mehr Zeit und man lernt sich etwas kennen. Jochen tauscht sich mit den Herren aus – drei tatsächlich noch Originalmitglieder – weil er sie schon 1985 live gesehen hat. Die ganzen alten Geschichten, wie es nach der Wende plötzlich nicht mehr lief, man sich umorientieren musste, in gleicher Besetzung eine andere Band gegründet hat und querbeet gecovert, um überhaupt noch Muggen zu bekommen. Das waren „The Thors“. War mir geläufig, dachte immer irgendwelcher Viking-Metal oder so. Nun erklärt mir Drummer Frank – das kommt von „Th“üringer „O“ldie „R“ockorchester. Na hurz wer hätte das denn gedacht. Kein Kommentar. Wir schnattern noch über gleiche Auftrittsorte wie Brauhaus Friedrichroda, alte Zeiten, alte Technik. Aber die sind echt in Ordnung die Kerle.
Die Wartezeit ist langweilig. Dermaßen früher Soundcheck und dann passiert stundenlang überhaupt nichts. Wir warten auf „Metalicover“, Band No. 3. Ich fotografiere einen baulichen Scherz und wundere mich beim Pinkeln über eine überm Pissoir angebrachte Werbe-Ankündigung die ich nicht sofort verstehe. Apropos Metalicover – es gibt hier „Discover…“ – what? „Discover…“ äääh. ACHSOOO. Beides hier im Bild.
Techniker Mike schwebt aus der Küche über den Korridor zum Veranstaltungsraum an mir vorbei, in der Hand einen Pappteller, darauf ein Schnitzel, sonst nichts. Ganz allein. Pur. Neat. Meat.
Ich zieh Augenbraue hoch.
Er „Na ich hab Hunger, muss ESSEN.“
Ich „Und was ist mit Gemüse?“
Er „Grmblfx“
17 Uhr treffen dann Metalicover ein. Die weiteste Anreise – Ecke Heilbronn, das ist kurz vor Stuttgart. Auch prima Kerle. Und etwa um die Zeit purzelt auch unser Lieblingsaushilfsbassist Steffen Vorst herein. Ich könnte ja bei zwei Steffens zur besseren Unterscheidbarkeit „Stevven“ schreiben?
Also Stevven musste erst noch mit seiner Freundin Anna im Hotel in Gotha einchecken weil sie extra ihre Urlaubstour um unsere Mugge herum gelegt haben. Wusste gar nicht daß man in Gotha Urlaub machen kann. Die Brauerei ist ja nun geschlossen, das Bier war ohnehin eher diskutabel (Oettinger Gruppe), weiß gar nicht was da noch so ist? Wenn wir da gespielt haben sagt meine Erinnerung an die Stadt eher so „grau“. Wenn man mal Emotion in Farbe gösse.
Wir erhalten nun die Info, daß wir entgegen vorheriger Planung nur 80 min Spielzeit bekommen. Also Setlist kürzen. Kurzer Disput – das MUSS rein, neee das muss gar nich rein aber das hier MUSS! Und so weiter. Am Schluss bleiben trotzdem noch 17 Songs.
Ich frag: „Schaffen wir das in 80 Minuten?“
Stevven: „Na wenn du dir nich wieder n‘ Zahn lockerquatschst schon.“
Dann noch so Profi-Fragen anhand der neuen Liste. Wann fragen wir das erste Mal nach Zugabe? Na hier. Achso, gut. Es ist weiterhin langweilig wegen der inhaltsleeren Wartezeit. Wir trinken backstage „Schlunz“-Bier. Das Bild auf dem Etikett regt mich zur Nachahmung an. Jaja, uns ist halt langweilig.
Noch vor der Tagesschau, nämlich 19 Uhr, müssen Hardholz auf die Bühne. Die armen. Es ist noch sehr leer. Mir ist deren uralte Musik absolut nicht geläufig. Aber was sie spielen und wie sie es spielen spricht mich als ebenfalls uralten Heavy Metal Fan durchaus an. Leider sind wirklich noch sehr wenig Leute im Zuschauerraum.
Ich komm wieder in den Backstagebereich zurück. Und dort sitzt – Mike. Der Tontechniker. Tontechniker Mike. Unten spielt die Band. Ich sag zu ihm – kennst du diese Großplakate an der Autobahn, wo ein Kerl mitm Handy telefoniert undso und da steht dann „Und wer fährt?“ Ich frag jetzt dich – „Und wer mixt?“ Er sagt – achso nee, die haben ihren eigenen Mixmann mit. Mike hat also ne Stunde frei.
Als Hardholz fertig sind wechselt unsere Langeweile schlagartig in Hektik. Umbauhektik. Geht, weil gut vorbereitet. Aber – Erster Fauxpas: Ich erwähnte daß wir den Volvo benutzten wie zuletzt abgestellt. Was mangels Notwendigkeit des Betretens des Instrumentenlagers nicht geschah und von mir vergessen wurde war ein Auffüllen der Crayfish-Dollars in meinen Koffer hinein. Wir sind heute quasi zahlungsunfähig. Naja, wird gehen müssen.
Zweiter Fauxpas: Letzte Aktion vor Musikbeginn ist Steffens Umziehen. Und da stellt er fest – oh Schreck, oh Schreck, kurze Hose weg! Also die Angus-Schulanzughose. Der Backstagebereich zur Vorbereitung neben der Bühne ist schon recht klein, wenn drei Bands da ihren Kram drin umwälzen. Er hatte die Hose an so ein Ding gehängt. Er sagt Kleiderhaken. Ich sag das war ein Gitarrenständer. Nun isse weg. Wir suchen und suchen. Wir hetzen umher und fragen die anderen Musiker. Wir überlegen – ohne Hose wär schon weniger schön. Wir fragen nochmal alle anderen Musiker und schütteln die durch. Die Zeit drängt ja auch ein bißchen. Nichts.
Ich weiß auch nicht was ich nun tun soll und überlege nach einem Ausweg während ich auf der Bühne mein Mikro konfektioniere. Da sehe ich durch die kleine Tür im Backstage wie Steffen in die kurze Hose steigt. Ja wie? Ja, sie wurde spontan gefunden auf dem Boden unter einem darauf abgestellten fremden Case. 5 min Angst und grade nochmal gutgegangen.
Dann ab und Crayfish drückt auf „Play“.
Ein paar winzig kleine Anfangsschwierigkeiten wie oft, Sound, Monitor, Stimme, dann läuft’s. Die 80 Minuten vergehen wie im Flug. Stevven macht seine Sache absolut zuverlässig und singt sogar Background mit. So nach und nach überzeugen wir das Publikum, ein bißchen zu feiern.
Ich muss mir ja immer irgendwelche Ansagen überlegen die ein paar Sekunden lang sind, weil mir Jochen immer irgendwann spontan zuwinkt er müsse Gitarre stimmen. Dann herrscht halt Stille. Das ist wirklich nicht einfach, und die Lösungen bewegen sich zwischen peinlich schlecht, über gähnende Leere, bis gelegentlich inspiriert.
Heute erwähne ich, daß ich angesichts Hardholz sehr froh bin, daß man sich über den musikalischen Nachwuchs keine Sorgen machen muss. Grad gesagt würd ichs gern zurückziehen. Aber DA lachen die Leute. Ich finde das überhaupt nicht lustig. Wenn ich was Lustiges sage lacht dann wieder keiner.
Dann sag ich halt noch – Jochen stimmt schon wieder Gitarre – dass Jochen die Herren Backstage wiedererkannt hat und sich erinnert hat, daß er sie 1985 live gesehen und mit ihnen gesprochen hat. Und ich sag dass das grad ausgerechnet an seinem 30. Geburtstag war.
Jochen sagt folgerichtig ins Mikro für alle „ Ich WUSSTE daß das jetzt kommt“
Das ist sicher alles nur lustig für Leute die Jochen kennen.
Freyja und Papa sind auch wieder da. Feiern vor der Bühne ab. Freyja kommt auch wieder mit hoch und hilft uns bei TNT. Und am Schluss dürfen wir sogar noch ihre (jetzt noch VIEL zu große) Metal-Kutte mit Edding unterschreiben.
Wir setzen eine echte Punktlandung hin. 21:50 verklingt der letzte Ton der Zugabe, genau wie im Plan vorgeschrieben.
Schnell Bühne beräumen und Platz machen für Metallica. Wenn man Techniker und Helfer hat ist das einfach nur wunderbar, man kann direkt nach der Mugge auch mal kurz entspannen und sogar mit Leuten quatschen. Wir werden mehrfach lobend angesprochen im Publikum. Fragen nach meiner Stimme und so. Einer kommt verschämt an und fragt „Sag mal macht ihr das irgendwie mit einem Sampler oder vom Band oder so mit deiner Stimme oder ist das echt?“ Ich sag „ALTER – weisst du wie scheiße teuer diese Samplinggeräte sind?“ Ich sing ihm ein bißchen ins Ohr und er ist’s zufrieden.
Dann ab, denn wir freuen uns, mal etwas früher ins Bett zu kommen. Noch schnell Tschüss zu Stevven und Anna. Dieses Jahr keine Crayfish-Mugge mehr. Und die erste in 2025 in Zwickau wird auch Stevven mit uns spielen mangels F.
Noch kurze letzte Absprachen mit Veranstalter und Hardholz, dann will ich mit Robin Auto einräumen. Reinwärts sind wir genau zweimal gelaufen und haben sämtliche Kleinteile wegbekommen. Jetzt sagt er, einmal wäre er schon mit Stevven gelaufen zum Auto und wir müssten nur noch einmal. Wir füllen Hände und Arme, kucken nochmal kontroll-rum, sagen Tschüss, und los.
Wir sitzen tatsächlich um 23 Uhr im Boliden und starten heimwärts. Legendär zeitig. Ich schick ne Nachricht an Doro daß ich 24 Uhr da bin, damit ich sie nicht wieder wachrumpele. Normal ist um 4.
Die Heimfahrgespräche in so Bandautos sind oft besonders. Gerade wenn man direkt von der Bühne kommt und losfährt. Irgendwie ist da der Körper noch voller Adrenalin, und das baut sich nur langsam ab. Sicher ist diese Substanz auch dafür verantwortlich, daß wir alle noch so unglaublich jung aussehen.
Sglatschtglei wenn jetz eener lacht.
Robin und ich reden viel und gut und tiefer als es selbst in einem Klappstuhl vorm Zelt aufm Metalfestivalzeltplatz geht. Wir sehen uns zwar ausschließlich zu Muggen. Aber vielleicht ist gerade Musik eine besondere Verbindung. Die hilft auch über Gräben, die wir ebenfalls haben. Kryptisch? Soll auch. Tagebuch ist auch Tagebuch für mich. Ich weiß was gemeint ist.
In Tröbnitz angekommen – Robin fuhr heimwärts weil der Sänger wieder Gerstensaft oral verklappte um seine Schüchternheit zu überwinden. Wir entnehmen unsere persönlichen Sachen, Rest bleibt drin im Auto. Überschlägig gehe ich nochmal rum, schaue durch die Fenster, Inventur.
Hm. Wo ist mein Koffer? Und wo ist die Tasche mit meinem Mikro?
Robin – „Hm stimmt. Nee, die hamwer nich.“
Och neeeee.
Ich greif zum Telefon und ruf schnell Mike an. Der ist zwar grad mit Metallicas Abbau zugange, bleibt aber freundlich und stellt tatsächlich meine Mikrotasche sicher die er gleich findet. Er deponiert sie am Pult wo ich mir nur noch Gedanken machen muss wie ich sie da weghole. Mein Koffer bleibt verschollen.
Erstmal nach Hause und ins Bett. Heute wird nichts mehr gerissen.
Bereits Sonntag Morgen beim Aufwachen wurmts mich unendlich. So ein unnötiger Scheiß, bloß wegen Stress, Personalüberkreuzung und Schusseligkeit. Wenigstens sind 550 EUR Mikro sichergestellt. Der Koffer ist absolut ersetzbar, alles nachkaufbar, aber so unnötig. Standard-Baumarkt-Alukoffer mit Inhalt Textordner mit Spickzetteln, verschiedene Klemmen und Gepäckspanner für Backdrop, alte Whiskydose als Behälter für Crayfishdollars und – naja – Beutebier.
Beutebier ist das, was man wenn man als Band den Veranstaltungsort verlässt noch schnell aus dem Backstagebereich stiehlt um auf der Heimfahrt nicht zu verdursten und auch nicht auf der Hinfahrt zur jeweils nächsten Mugge.
Sehr nett ist das natürlich nicht weil nicht so gedacht, aber wir haben da nicht so ein schlechtes Gewissen (wir machen das möglichst IMMER) weil wir aus unserer Sicht sowieso total unterbezahlt sind und weil Backstagebier ja nun auch nicht SOOO teuer ist für den Veranstalter. Und am Veranstaltungstag selbst kann man nunmal aus körperlichen Gründen nur begrenzt trinken.
Das Beutebier muss man natürlich irgendwie so unterbringen, daß bei der endgültigen Abschiedsszene mit dem Veranstalter und den Mitarbeitern vor Ort nichts auffällt. Es gibt da verschiedene Methoden, die wir schon praktiziert haben.
Man kann die Flaschen in einen Müllsack packen, hinten über den Zaun an ein anderes Bandmitglied nach draußen geben und dann verschwinden. Oder der Müllsack reißt vorher (ist passiert aufm Zwiebelmarkt in Weimar).
Man kann die Kapuzen der Kapuzenpullis nutzen (keine allzu schnellen Bewegungen mehr), man kann eine Gitarre zurücklassen und den gewonnenen Leerraum im Gitarrenkoffer mit Bier füllen, oder man kann den halb leeren Utensilienkoffer des Sängers auffüllen.
Es ist nur sehr blöd wenn der den dann am Veranstaltungsort vergisst.
Wenn da ein herrenloser Alukoffer auftaucht, recht schwer, ist ja sicher der erste Gedanke, daß der Inhalt Aufschluss über den Eigentümer geben könnte.
Zum Glück ist der Koffer ja verschollen. Ich überlege eine Weile ob ich die anderen Bands frage ob sie einen zuviel haben. Aber nee.
Am darauffolgenden Donnerstag – ein Feiertag, Helloween, bzw Reformationstag – bin ich zufällig tatsächlich ganz in der Nähe in Erfurt und funke den Veranstalter an ob er denn an diesem Tag mal im Club wäre – wegen vergessenen Mikrofons.
Er meint, ja, er wäre da, Mikro wäre gefunden, und auch ein Koffer.
Schamesröte steigt mir empor.
Wir verabreden uns, ich fahre hin mit Doro im Lupinchen, da kann Doro mal einen unserer Veranstaltungsorte sehen wo sie ja nie mitkommt. Angekommen finden wir auch gleich Frank im Korridor, der wechselt Glüh-LEDs. Mein Koffer steht da. Ich bin betreten. „Hach ja naja is ja schön daß das so klappt und tut mir leid für die Schusseligkeit laberlaber…“ Er „Ach weißt du das passiert absolut dauernd.“ … Ich dringe noch schnell in den Saal vor, finde mein Mikro an Mikes Pult, zeige Doro den schwarzen Raum mit den fest installierten Skeletten vor denen gerade noch Marduk spielten, nehme meinen Koffer und verabschiede mich rückwärts laufend, freundlich lächelnd, und winkend.
Als ich zu Hause verschämt den Koffer öffne sehe ich erstens, daß es tatsächlich meiner ist, zweitens daß 3 Flaschen 0,33 l Schlunz wieder herausgenommen wurden. Die Flasche Freiberger von der vorletzten Mugge ist noch drin…
Hahaha. Das war Crayfish 2024. Falls nicht noch einer anruft und uns bestellt gehen wir jetzt in den Winterschlaf. Macht‘s gut!