Die Vorzeichen für Büßleben sind verschieden. Zuerst ist die Kommunikation schwierig, weil Veranstalter Uwe keine E-Mails benutzt und auch noch keine Rock-Konzerte veranstaltet hat. Bei den E-Mails hilft ihm dann sein Schwiegersohn Marcel. Ab dann läuft alles prima und wir bekommen sogar ein Vorab-Foto von der Bühne für die Technikplanung.
Dann ruft am Dienstag vor der Mugge Jochen bei mir an – er hat einen Bandscheibendurchfall oder sowas.
Sie wollten ihn gleich behalten im Krankenhaus und operieren. Das kann man ja verstehen, wenn man Jochen kennt. Daß man da gleich alles operieren möchte und so. Er wollte aber nicht, wegen der Mugge. Er will lieber mit Schmerzen spielen. Und nicht absagen.
Und dann kommt es noch viel schlimmer. Vorhersage – Es könnte sein, daß es leicht regnet! Letzteres passiert dann zum Glück nicht.
Zu dieser Konzertveranstaltung müssen wir so viel Kram mitnehmen, daß der Transporter notwendig wird. Unser (gefühlt) Baujahr 1994er T4 hat soeben neuen TÜV bekommen (auch wenn uns das keiner glauben wird, der das Auto vom Sehen her kennt) und wir sind dementsprechend frohgemut. Beim Beladen der Pritsche darf Jochen diesmal auf benachbarten Brüstungssteinen sitzen und zusehen. Er muss keine Boxen tragen, und es reicht, wenn er hier und da wichtige Ratschläge einstreut.
Sofort nach der Abfahrt werden die immer gleichen unvermeidlichen Rituale abgespult – Bierbrücke und Schönewette. Erste überfahrene Brücke = erstes Bier für alle Nicht-Fahrer (diesmal fast verpasst und fast erst an der zweiten Brücke aufgemacht). Dann Wetten abschließen, wie lange vor den beiden Schönes wir ankommen, obwohl wir viel später losgefahren sind und viel langsamer. Das Zweite klappt diesmal nicht, weil sie uns irgendwo zwischen Tröbnitz und Erfurt auf der Autobahn überholen. Das ewige Paradoxon im Raum-Zeit-Kontinuum ist trotzdem nachweisbar, denn sie sind in Tröbnitz wie immer VOR uns losgefahren und haben ein kleines leichtes schnelles Auto (im Vergleich zu unsrer alten Pritsche-Hitsche).
Bei der Anfahrt nach Büßleben wird uns ganz warm ums Herz – am Wegesrand stehen ganz viele kleine runde liebevoll handgemalte Hinweisschilder mit Pfeilen drauf und der Aufschrift „AC/DC“. So kann man das Ziel gar nicht verfehlen. Und dann wird’s noch viel besser – der Pfarrgarten ist wirklich ein solcher! Wie man es sich vorstellt, idyllisch mitten in einem alten Dorfkern gelegen, das Dorf natürlich mit einem kleinen Bach, grüne Wiese, alte Obstbäume, drumherum alte Fachwerkbauten und noch ältere Bruchsteinmauern, und dazwischen eine echte, solide, massive überdachte Bühne mit 5 x 6 Metern Grundfläche – als wär hier IMMER Rock’n’Roll. Und diese ganze Idylle liegt im Prinzip im Stadtgebiet von Erfurt – also ein kleines Dorf, vom Moloch verschluckt, aber noch nicht verdaut.
Seit dem Nachmittag ist hier bereits Familienspaß mit Kaffee, Kuchen und Kinderfaxen im Gange. Wir kommen in eine kleine wunderbare Idylle rein. Hätt ich mich wenigstens nochma kämmen können, hätt ich das gewusst. Ein ganzer Trupp aus dem Dorf schmeißt die Party. Alle Frauen haben Kuchen gebacken, die Erlöse gehen an die Kinderkrebshilfe. Das Willkommen ist ein Herzliches und alle freuen sich, daß das trotz widriger Umstände noch klappt (E-Mails, Bandscheibendurchfall und vielleicht sogar etwas Regen). Zuerst wird immer die Versorgung geklärt (wir bekommen einen Kasten Bier mit etwas Radler und Essenmarken) und die Anschlüsse, Parksituation und Zeitabläufe. Wie oft erhalte ich den Eindruck, daß der Veranstalter etwas überfordert ist von diesen 4 wichtigen Fragen, die ich vorm Aufbau schnell klären möchte. Uwe will uns ersma nur beruhigen. Die Veranstalter müssen sich oft erst zunächst kurz ein wenig ausruhen und mental runterkommen, wenn wir angekommen sind.
Im schönsten Sommersonnenschein bauen wir auf. Die haben uns sogar extra einen Catwalk hingezimmert, und keinen Wackelscheiß, sondern massive Handwerksarbeit, mit echtem Gobelin-Belag und Stirnseitenbeschriftung „AC/DC“. An der Bühne liegt Starkstrom an, man kann direkt bis ran fahren, die Bühne ist massiv gemauert und gebälkt – kurzum – ä Traum.
Für den Soundcheck brauchen wir etwas länger (der F hat extra noch drei Stunden am teilweise neuen Equipment gebastelt vorher), hat hoffentlich keinen genervt. Robin will mich dabei verbal breitschlagen, mit Kuchen für Spende für Kinderkrebshilfe zu essen. Ich mag natürlich keinen Kinderkrebs, aber leider auch keinen Kuchen. Robin isst meinen gern mit, und einiges mehr, kann das aber nicht nachvollziehen. Mit so viel Kuchen wird der Soundcheck schließlich fertig. Was sich später als Blödsinn erweisen soll, denn wir müssen das Meiste während des Live-Sets nochmal neu justieren. Indem der F und ich runter hüpfen und hören und dann nachregeln. Das nur mal, um den regen Fussgängerverkehr von der Bühne ins Publikum und zurück zu erklären. So muss man das machen, wenn man keinen extra Technik-Mann mit hat.
Es gibt eine Abschlussgenehmigung bzw Aufhörverbot oder Sperrzeitverkürzung und Auftrittsabschnittserteilung bis 23 Uhr. Da muss dann Ruhe sein im Pfarrgarten. Obwohl der Pfarrer selber gar nicht da ist, hat man uns erklärt. Ob der weiß, was in seinem Garten los ist? Wir müssen schon um 19 Uhr anfangen. Das ist in strahlendem Sonnenschein vor Kaffee-Publikum, Kinder hüpfen mit Riesen-Fussbällen über die Wiese, Omis wippen mit Kaffeetassen in der Hand. Aber es sind schon die ersten AC/DC-T-Shirts da. Nach und nach füllt sich der wunderschöne Pfarrgarten locker, aber ansehnlich. Die Kinder bleiben, die Omis auch. Wir machen drei Runden und soeben die erste von zwei Pausen.
Im Abendsonnenschein hat sich unser Kasten Becks in eine Flüssigkeit leicht über Körpertemperatur verwandelt. Das Produkt lässt damit jedes Genusserlebnis vermissen – darüber kann man sich schon in Kalt streiten – und verkommt zum bloßen Nahrungsmittel. Da erblicke ich Robin mit einem großen, wegen der inneren Kälte betauten Hefebierglas in der Hand.
Robin beschreibt später allen, wie sich mein Gesichtsausdruck entwickelt hat, als er mit dem Hefebierglas in mein Gesichtsfeld trat. Das muss ausgesehen haben, als ob ich plötzlich erkenne, daß ich die Weltformel gefunden habe. Oder vielmehr, daß Robin sie gefunden hat, und ich sie haben möchte.
Nach dieser Entdeckung und einem ebensolchen Glas steigt die Motivation beim Gesang um 300%. Während des Konzertes und eines Gitarrensolos will ich schnell zum Tresen flitzen, um ein zweites Kühles zu holen. Auf dem Weg bemerke ich den fatalen Fehler, vor der Mugge die Hose gewechselt zu haben. Diejenige, in der die Biermarken sind, liegt gut verstaut im Backstageraum. Ich kehre bedröppelt mit dem leeren Glas zur Bühne zurück und singe nach dem Gitarrensolo unverrichteterdinge weiter. Dieser Vorgang muss an der weit entfernt liegenden Theke beobachtet worden sein – kurz darauf steht wie von Geisterhand ein frisches Hefe am Bühnenrand. (Reimt sich!)
Während der nächsten 5 Stunden trinke ich an diesem einen Glase voll Genusses (*hüstel* – Anm. vom F.). Just bevor es sich neigt entdecke ich eine Fliege, die ins Getränk gestürzt ist. Ich habe etwas Mühe, sie aus dem engen Glas herauszufangen und in die bierfreie Umgebung zu entwerfen. Auch DIESER Vorgang muss an der weit entfernt liegenden Theke beobachtet worden sein, denn fortan stehen regelmäßig am Bühnenrand frische Hefebiergläser bereit – säuberlich abgedeckt mit Pappdeckeln! (ja isses denn…)
Tut mir leid, wenn ich hier zu sehr auf diesem Bier rumreite, aber es zeigt so sehr die Herzensgüte der Büßlebener.
Nachdem die Dämmerung so gnädig ist und etwas mehr Atmosphäre schafft, wird auch die Stimmung besser – auf und vor der Bühne. Jochen muss im Sitzen spielen auf einem Barhocker, aber er zieht das durch. Der Rest der Band ist heute auch gut drauf, selbst der F im Rahmen seiner Möglichkeiten, denn er muss heute nicht fahren und fährt morgen in den Urlaub. Etliche nachgereiste Stamm-Crayfish-Freunde sind auch wieder da – und den Mädels macht es natürlich tierisch Spaß, die Band auf der Bühne mit den herumliegenden Fussbällen zu beschießen und so vom professionellen Vortrag abzuhalten. Jens hat sein 72. Crayfish-Konzert.
Im letzten Drittel – es ist endlich ganz dunkel – wird richtig gut Stimmung. Die Mädels und Jungs vom Personal an Bar und Rost johlen sowieso schon die ganze Zeit verstohlen, jetzt macht auch noch das Publikum mit. Soweit kommt man als Band oft gar nicht.
Es wird getanzt, gefeiert, geschmaust und geprostet, daß es dem Pfarrer sicher eine Freude wäre. Über unsere nicht ganz koschere Rosie (Konfession unbekannt) denke ich gar nicht nach, darauf werde ich erst später hingewiesen. Ich hoffe, wir sind niemandem zu nahe getreten.
Am Schluss ist die Betrübung groß, daß wir bereits um 23:15 Uhr aufhören müssen (wir haben etwas überzogen mit Uwes Einverständnis, des Pfarrers Tomaten sind unser Zeuge). Aber so ist das halt – ein klitzekleines Opfer an dieses wunderschöne Wohlfühl-Ambiente.
Die teilweise versehrte Kapelle fährt heim, lädt die Technik ab, und ist dank Pfarrgarten diesmal sogar zu einer fast christlichen Zeit im Bett (um drei).
Dankeschön an Uwe, Marcel und alle Büßlebener! Das habt ihr prima gemacht. Und wann immer ihr sowas nochmal machen wollt – schnippt mit dem Finger und wir sind da!