Und wieder Heiligen Mühle. Vorab stelle ich den Zeitplan in unsere Whatsapp-Gruppe – 15:30 Treffen in Trö zum Beladen, 16:00 Abfahrt, 17:00 Ankunft, 19:00 Ende Soundcheck / doors open, 20:00 Showtime. Robin und F treffen pünktlich bei mir ein und wir laden.
Da finden wir doch tatsächlich im Lager noch Inhalt in leer geglaubten Kartons – unsere Merch-Kollektion! Es sind noch etliche T-Shirts vorrätig und sogar die längst ausverkauft geglaubten Kapuzenjacken. Wieviele Leute wir schon von der fast leeren Verkaufskiste weggeschickt haben. So eine Lotterwirtschaft. Wir füllen alles wieder auf. Wir sind uns einig dass wir heute nicht spielen sondern nur verkaufen.
Es ist 16:00 Uhr und wir sind gerade fertig mit Laden, da kommen die Schönes freudestrahlend um die Ecke. Steffen triumphiert – „Pünktlich wie die Maurer!“. Robin sagt – „Naja wenn Maurer immer ne halbe Stunde zu spät kommen stimmt das.“ Verständislosigkeit. „Na kuck mal in den Chat, da steht alles drin“. Wo da jetzt wieder der Fehler lag weiß ich auch nicht. Ist in dem Fall nicht schlimm. Und ab nach Erfurt.
Unterwegs erklärt uns der F noch, dass er im Postillon gelesen hat, dass inzwischen immer mehr Gitarristen umsteigen von Benzin-Gitarre auf E-Gitarre. Interessant.
Veranstalter Jürgen klagt über den Fortschritt des Alters und die einher gehenden Lasten. Wissen wir, sagen wir. Schließlich musste auch ich kürzlich meinen 40. Geburtstag feiern. Und nach 35 Jahren Gesang bei Crayfish fühlt man sich auch irgendwie verbraucht.
Auf der Bühne werden wir – sehr fortschrittlich – wieder vom Bühnenkühlschrank begrüßt. Es ist allerdings nicht viel drin. Ein paar Flaschen Bier und spritziges Mineralwasser. Nur sehr spritziges. Das passiert bei allen Laien-Veranstaltern und -Gastronomen. Kein Gedanke daran dass sich die Musikanten davon halbtot rülpsen und dass dann dauernd Textzeilen fehlen beim Singen.
Der Koch ist lustig. Er hat eine sehr standesgemäße Kochmütze auf. Wie das für mich scheint ist die aus Papier und Einweg. Wahrscheinlich schwitzen Köche beim Kochen sehr stark am Kopf. Beim Nachdenken über die Rezepte. Er handelt mit uns die Servierzeit fürs Band-Essen aus. Er möchte so früh wie möglich, weil er sonst Ärger mit seiner Frau bekommt. Wir möchten so spät wie möglich, um nach dem Soundcheck noch was Warmes zu haben und keine längst erkalteten Teller. Es gibt dann 19 Uhr in einer Teigjacke frittierten Hahn mit Kartoffelsalat. Wir mampfen.
Während des Essens wärmen wir ein paar alte Geschichten auf. Eine handelt davon wie Stochen, Jeffen, Doro und ich einst zusammen mit unserem Freund Matze in Weimar zum Konzert der Mozartband waren. Hinwärts wurde im Auto schon gut gebechert. In Weimar angekommen musste Matze sofort dringend aufs Klo. Ich schlug ihm vor es doch mal in der Kneipe da drüben zu probieren. Nach 40 Sekunden kam er wieder raus. Ich sag
„Und? Ham sie dich aufs Klo gelassen?“
„Naja man darf nur aufs Klo wenn man was bestellt.“
„Und was hast Du gemacht?“
„Na ein Bier bestellt und getrunken.“
Aha. Effizient und rapid.
Nach dem Ende des Konzertes war der Abend noch sehr früh. Das war eher ein Nachmittagskonzert. Also schlenderten wir noch durch Weimar. Da kamen wir an einer echten Schickimicki-Gartenparty vorbei, so mit riesen Buffet, Champagner und lauter Prominenten, Bürgermeister und so. Davor zwei Gorillas die den Einlass bewachten. Matze so – los, da gehmer rein! Ja wie denn? Er stolziert selbstbewusst darauf los und wird natürlich von den Securitygorillas gestoppt. Ihr kommt hier nicht rein! Er so – ja also hören Sie mal, was erlauben Sie sich denn! Ich bin der Sohn vom Doktor Rösner! Die Securitaner waren sofort sehr betroffen und winkten uns durch. Obwohl sie selbstverständlich nicht wussten wer Doktor Rösner ist. Wir auch nicht. Matze auch nicht. Ich nehme nicht an dass es den gibt. Aber wir waren drin.
Das war dann so wie man das aus Funk und Fernsehen kennt – so gefrackte Kellner mit Tabletts voller Champagnergläser und so. Wir haben uns auch welche genommen. Champagnergläser. Und was vom Buffet. Lange gings nicht gut weil wir doch etwas abgerissener aussahen als der Rest der feinen Gesellschaft. Man hat uns dann entfernt.
Im Zusammenhang mit dem Essen – hatte ich in einem früheren Tagebuch schon mal folgenden Fachbegriff erklärt? Weiß nicht mehr. Wer ein wenig mit Tontechnik zu tun hat, kennt den Begriff „Phantomspeisung“. Für alle übrigen kurz erklärt – das ist, wenn die Band dachte es gibt was zu essen, es gibt aber nichts.
Zurück in die Gegenwart. Der F ist dran mit Fahren und möchte etwas Radler trinken statt Bier. Da im Kühlschrank nur Bier ist möchte er Zitronenlimo und selbst eins mixen. Der Wirt sagt ihm ganz klar – die Band bekommt was im Kühlschrank ist. Alles darüber hinaus muss bezahlt werden. Der F fragt – es ist also nicht möglich eine Flasche Zitronenlimo zu bekommen? Der Wirt sagt – doch, kein Problem, kost 8 Euro. Manchmal komm ich nicht mehr mit. Da sind fast 200 Gäste in der Hütte. Die sind da weil wir spielen. Und die trinken und essen. Und eine Flasche Zitronenlimo im Wert von 0,75 EUR ist eine zu hohe Investition in das Kulturprogramm des Abends. Zumal wir sehr viel von dem im Kühlschrank platzierten Sprudelwasser zurückgeben werden. Der F und Robin machen einen Spaziergang in den 450 m entfernten REWE und kaufen Zitronenlimo. Denkt nächstes Mal zweimal nach ob ihr in der Heiligen Mühle an die Gastro Trinkgeld gebt! Obwohl, die Bedienung kann ja auch nichts dafür. Die waren flott und nett.
Zurück zum Ablauf. Ab 18:45 Uhr hat man das Gefühl jemand hat irgendwo einen Stöpsel gezogen. Es kommen Leute rein, Leute, Leute und Leute. Es wird sehr schnell richtig voll. Start ist tatsächlich 20 Uhr. Jürgen hat seine Gäste so weit erzogen dass die das gewohnt sind. Für uns ist das angenehm, weil es dann am Schluss nicht so tierisch spät wird. Und wie wir 20 Uhr auf der Bühne stehen ist der Laden tatsächlich pickepackevoll. Und die Leute feiern voll ab! Obwohl wir noch gar nicht angefangen haben zu spielen………
Es wird aber dann eine einfach nur richtig gute Party – für uns, und soweit wir das beurteilen können auch für alle Gäste. Traumhaft, so wie es sein soll. Wir haben durchgehend Publikumsstopf bis zum Bühnenrand, schweres Durchkommen für die Kellnerinnen. Crayfishfan-Veteranen sind da – Boris, Jutta und Jens. Der Erfurter Whiskyclub hat eine Delegation von 15 Leuten geschickt. Der Bienstädt-Holger mit Gefolge ist da. Alle freiwillig.
Während des Konzertes beginnt das Publikum plötzlich sehr zu lachen und aufs Schlagzeug zu zeigen. Als ich mich rumdrehe sehe ich, dass Robin eine Kapuze aus Crayfish-Backdrop hat. Leider bin ich zu langsam mit dem Fotoapparat. Tja, das Ding ist abgestürzt. Wir nennen das identitätsstiftende Stück Stoff sowieso nur noch liebevoll unseren „Whopbabaluu-Lappen“. Langsam löst er sich auf. Ich habe schon überlegt mal ein neues Banner zu bestellen. Aber wir sind uns noch nicht einig was wir draufschreiben.
Er (der Lappen) wird schnell wieder hochgehängt, unter Publikumsapplaus. Leider stürzt er nicht lange später nochmal ab. Morsch.
Thomas hat extra viele Mikros aufgebaut. Eins vorweg zum Einrauschen der Anlage, einige extra am Schlagzeug. Er will heute einen Live-Mitschnitt machen. In erster Linie für uns zur Fehleranalyse, aber auch in Plattenläden ist sowas ja immer schnell ein Bestseller. Viel Verkabelung also. Ich erkläre dann während des Konzertes auch dem Publikum, dass niemand etwas Unanständiges sagen soll, wegen des Mitschnittes. Ich freu mich besonders auf die Aufnahme, weil ich durch die gerade abgeschlossene Frühjahrstournee gut warm bin und so gern mal hören würde, was ich mit der Stimme besser machen kann.
Die Kneipe ist gut aufgeheizt – in Temperatur und Stimmung. Es kommen ab und zu Musikwünsche rein die wir gern erfüllen, sofern im stark eingeschränkten Interpretenkosmos. Einer spricht mich in der Pause an – bitte spielt doch mal „Burning Alive“, habt ihr letztes Jahr auch gemacht, für den Kasseler Freund!
Machen wir natürlich gern, erstens für einen Freund der auch wiederkommt, zweitens weil die meisten in der Band den Song sehr mögen. Aber was ich laut denkend (leider am Mikro) überlege ist, was „Kasseler Freund“ bedeutet. Ob also der Freund tatsächlich jedes Jahr aus Kassel anreist, oder ob er nur gern Kassler isst. Akustisch ist das nicht zu unterscheiden. Ich hoffe ich trat ihm nicht zu nahe.
Burning Alive kommt gut an und macht uns großen Spaß.
Ich mache eine Ansage zum überraschend gefundenen und vorhandenen T-Shirt-Bestand, und dass trotz vorher anders lautender Aussage ganz viel in ganz vielen Größen nun wieder erhältlich ist. Gelächter. Der F erklärt mir, dass die das in diesen ganzen TV-Verkaufsshows immer genau so machen. „Der Bestand ist jetzt fast aufgebraucht, ich sehe hier noch 17 Stück. HUUUUCH ich bekomme gerade eine Meldung von der Regie hier sind nochmal 10.000 Stück reingekommen aus einer vorher übersehenen Kiste!“.
Ich sag so zum F – und DAS glauben die Leute? Ja! Dann ist mir nicht klar warum sie es bei uns nicht glauben, wo es nun gerade mal stimmt. Ich beteuere nun genau das zum Publikum. Wieder Gelächter.
Na mir egal. Dann friert.
In der letzten Runde singe ich so gedankenverloren vor mich hin, da sehe ich wie eine Flüssigkeitszunge vom vorderen Bühnenrand in unsere Richtung und in die unserer Geräte kriecht. Wieder haben Leute die Aufsichtspflicht für ihre Getränke vernachlässigt und sie am Bühnenrand bei einer Rockband abgestellt. Das führt meist zu Durst und selten auch zu Schäden an Geräten, die Bier nicht gewohnt sind. (Haben wir nicht.) Ich mache trotzdem eine Ansage – Leute, hier läuft Zeuch in unser Zeuch! Ihr müsst sofort herkommen und das aufschlecken!
Es kommen dann wirklich zwei Mädels angesaust und ditschen das mit Seidentaschentüchern oder so auf. Ich sag noch – nee das war doch nur Spaß! Aber die ditschen zuende. Mir peinlich nachträglich. Am Ende waren die das nichma selber mit dem Gematsche. Wohl kaum.
Kurz vor der letzten Runde war ich noch schnell bei Veranstalter Jürgen und frug – das mit Schluss 23:30 war ja nur Spaß, oder? Er aber so – nee nee, das is so! Wenn ihr bis 23:45 macht geht’s auch noch, aber dann ist Sense.
Schreck. Dann haben wir uns wieder mal im Ablauf verplant und müssen etliche Knaller weglassen die wir einfach nicht mehr schaffen. Is dann so. Das Publikum weiß ja nicht was wir NICHT gespielt haben. Und noch ist nicht aller Crayfish Tage Abend.
Abbau.
Seit Frohburg habe ich einen schlimmen Tinitus. Vorher war er auch schon da. Aber seitdem ist er derart laut, dass ihn auch andere Leute hören, wenn sie nah genug bei mir stehen. Also hab ich mir (nach etlichen früheren gescheiterten Versuchen) nochmal ein Gehörschutzmodell bestellt und heute ausprobiert. Ist nicht ganz billig der Spaß. Bisher hab ich immer am Ende des Gigs festgestellt, dass mindestens einer der Stöpsel rausgefallen und verschwunden war, wegen meiner Vehemenz und Schwitzitzität. Genau das ist auch diesmal wieder passiert. Nur dass Robin jenen diesmal wiederfand, auf dem Boden zwischen dem anderen Unrat. Mal sehen ob das immer so klappt. Und ob ich den nun noch im Ohr haben möchte. Muss wohl grob abklopfen damit‘s nicht kratzt.
Abbau, Verladung, Heimfahrt, Ausladung und Verstauung laufen gut. Wir sind durch pünktlichen Schluss früher als gewohnt im Bett, ich glaub ich lag da bereits 03:30.
Am Sonntag hab ich wieder leichte postmuggale Depression. Liegt weniger an der Mugge, als an allgemeinem Überdruck negativer Ereignisse. Es wird nicht besser als der F mir vermeldet, dass er seinen Live-Mitschnitt kontrolliert hat. Er hat versehentlich nur die ersten 8 Spuren mitgeschnitten. Das ist genau das Schlagzeug und sonst nichts.
Die Live-CD wird wohl eher wie Blei oder wie Kassler in den Regalen liegen. Und wir werden unsere Darbietung auch nach 23 Jahren noch immer nicht verbessern können.
Da muss ich jetzt doch bittersüß schmunzeln. Was für ein tolles Wort eigentlich. Ich schmunzele noch bis in die Dämmerung.