Eine Woche vor dem Kneipenfestival kommt ein Anruf. „Lokal geändert. Ihr spielt im Dielenhaus, Frankenstraße 28.“ Sowas ist immer prima. Nachdem die Flyer zum Kneipenfestival mit dem Programm bereits gedruckt sind, wird uns nunmehr kaum ein Fan gepflegter australischer Rockmusik finden.
Aber ersma nach Stralsund fahren. Ist ja auch ein ganzes Stück. Mit dem Transporter bald 6 Stunden. Die haben hier in Stralsund noch deutlich mehr Winterreste rumliegen als wir zu Hause. Im Hotel ist alles geritzt, (Nein, wir waren nicht im Ritz! – Anm. d. Redaktion) wir werden sogar in den Zimmern vom Fernseher als Herr Crayfish förmlich begrüßt. Der Auftrittsort ist dank moderner Technik auch sofort gefunden. Es handelt sich um ein Haus, welches ohne Scheis im Jahre dreizehnhundertundquetsch erbaut wurde. Sehr gut erhalten und gepflegt und sehr ehrwürdig. Ein altes Lagerhaus nach alter Bauart, Backsteingemäuer, uralte Balken, tolle Atmosphäre. Der Besitzer ist ein sehr toleranter und hat unserem Veranstaltergastronomen, der sich irgendwie mit dem Buchen der Bands vertan und verzählt hat (zwei statt einer?), kurzfristig sein Haus als zusätzlichen Veranstaltungsort geliehen. Er wohnt obendrüber. Ich vergewissere mich zweimal, ob die dem gesagt haben, was jetzt hier stattfinden wird. An den Wänden rundum stehen Vitrinen mit Artefakten verteilt und ich sehe im Geiste vorab bereits große historische Werte heute abend über den Jordan gehen.
Wir haben unsere tolle, sehr schwere Anlage mitgebracht und laden nur 75% ab. Das geschieht in einer PKW-breiten Einbahnstraße bei starkem Wind und möglichst flugs. Doro macht die 700 Jahre alte Tür immer auf und zu um neben dem Träger wenig Kaltluft reinzulassen. Ich muss dann noch den Transporter irgendwo in Stralsund verstecken, weil hier nix is mit Parken. „Fahrnse ma da vorne gleich links.“ Jo. Das is ne Gasse, die is hüben wie drüben je 7 cm breiter als der Transporter. Mit ein paar Mal Ansetzen und Zurückstoßen komm ich echt da rein. Dann geht das auch ganz gut. Bis am Ende der Gasse ein großer Schneehaufen kommt. Auch mit zweimal Schwung holen komm ich da nich durchgerammt. Da mussich nu mit nassem Schuh wieder rückwärts in die 7 cm-Gasse und mich da wieder rausfädeln. Nee. Ganz blöd. Aber ich werde das Auto doch noch los irgendwann. Drinnen im Haus ist es etwas frisch. Das hat aber zur Folge, daß das hier abgestellte Stralsunder Pilsner angenehm trinkbar ist. Wir bauen unseren Kram auf und hängen unser Katzenpissebackdrop an historische Haken. Irgendwann kommt die Security. Die maulen ganz schön rum, weil sie diesen Kackposten abbekommen haben. Andere Kollegen von denen halten Wache in warmen Kneipen. Wegen der frostigen Atmosphäre herrscht zunächst zwischen uns ein kaltes Klima. Und umgedreht.
Die Uhrzeit zeigt nun unwiderruflich den Beginn der Kneipennacht an. Wir setzen uns im Kreis um die Einblasöffnung des Außenborder-Warmluftgebläses in der ersten Etage und rechnen mit keinem Gast. Jochen war zwar so pfiffig und hat an unserem ursprünglich geplanten Veranstaltungsort ein Plakat aufgehängt, mit Hinweis wo wir zu finden sind. Aber bringt das viel? Starke Zweifel.
Doch was ist das? Die Tür öffnet sich und es kommt ein Paar herein. Vom Habitus her wirken die eher, als würde ihnen nach einer Lesung dürsten. ER sieht sogar ein kleines bißchen wie ein intellektueller Kapitän aus. Die gehen bestimmt gleich wieder, wollten wohl nur mal die Gelegenheit nutzen, das Haus zu sehen (welches sonst der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist). Letzteres gereicht uns – wie sich zeigen wird – zum großen Vorteil, ersteres ist falsch vermutet. Die beiden werden später sogar zu denen gehören, die uns nach Konzertschluss persönlich verabschieden.
Als der vertraglich festgelegte Beginn der ersten Runde heranrückt ist der „Break-Even“ (mehr Leute im Publikum als in der Band) längst überschritten. Wer hätte das gedacht? Bei einem Kneipenfestival ist das eher selten, wenn man neu in der Stadt ist und der Auftrittsort kurzfristig versteckt wurde. Und das Publikum ist durchweg furchtbar angenehm. Es sind wohl in der Tat alles historisch Interessierte, die den alten Bau besichtigen möchten und die Geräusche, die wir machen, nicht als störend empfinden. Hier ist man offensichtlich einigen Hafenlärm gewohnt.
Es zeigt sich, daß wenigstens einer der Security-Leute AC/DC mag, und unsere Atmosphäre taut auf. Es ist nun ein ganz blödes Timing, daß wir ausgerechnet heute unser neues kleines Lichtgerät ausprobieren, welches nicht wie üblich brennend heißes Licht, sondern basierend auf LED-Technik ganz ganz KALTES Licht liefert. Jaja. Aber trotzdem tauen alle ganz schnell auf. Und bald ist alles wie immer. Wir feiern mit den Stralsundern eine wunderschöne AC/DC-Party. Und es finden uns Runde auf Runde (das Publikum wechselt ja jedesmal) so viele Leute, daß der Saal immer locker gefüllt ist. Einmal werde ich sogar von native speakern angesprochen und nach dem Programm befragt. Es ist erst unsere zweite Mugge dieses Jahr, wir haben äußerst wenig geprobt, ich denke daran, daß englisch-sprachige Leute im Publikum sind, und prompt habe ich bei zwei Texten ein komplettes Blackout und muss Kauderwelsch singen. Hmpf.
Trotz Frost und Englisch überstehen wir das Ganze mit Grinsebacken auf beiden Seiten. Die Stralsunder sind offensichtlich froh und wir sind es auch. Und das Riesenbonbon ist, daß wir den ganzen Mist einfach stehen lassen und die Anlage morgen abbauen können. Juhuu! Also gehen wir durch die Stralsunder Altstadt gepflegt ins Hotel, trinken noch ein kaltes frisches zusammen auf den Bettkanten und fallen ins Bett. Klingt doch wie im Paradies oder? Ist es auch. (Keinen Neid! Ihr müsst nur eure Instrumente üben!)
Beim Frühstück trifft man dann die eine oder andere Kollegenband. Und hat auch sonst einige interessante Erlebnisse wie interkulturelle Frauenbewertungsanstöße oder türkische Hotelbuffetsbetrugsversuche – aber huch, ich hab ja schon wieder so viel geschwurbelt! Zurück zum Schluss! Der Abbau geht natürlich bei Morgen-Tageslicht viel schöner. Wenn das nur alle Veranstalter einsähen. Die Rückfahrt ist dann ganz schön schwer, weil der Winter sich im Norden der Republik ein letztes Mal aufbäumt und alles was er hat auf die Straße schmeißt. Man sieht keine Autobahn mehr, und Räumdienst gibt’s nich. In Thüringen merkt man davon gar nix. Aber wir kommen mit dem Transporter erst Sonntag abend 21 Uhr zu Hause an. Aber immerhin, wir kommen an. Sehr bunt, sehr fein. Alles in Allem.