Wir spielen seit 20 Jahren mindestens einmal im Jahr in Arnstadt. Bis uns die Pandemie einen Strich durch (=> Veranstalter und Hauseigentümer) Udos Kalender machte. Nach zwei Jahren Pause fühlt sich das jetzt ein bißchen an wie nach Hause kommen.
Treffen in Tröbnitz 16:30. Beladung von diesmal Robins neuem Boliden plus Schönemobil. Robin fährt mit eigenem Boliden – bedeutet ich bin nur Beifahrer und muss mit dem F das Hinfahrbier trinken, was sonst Robin erledigt. Ich glaube das ist mir in der Bandgeschichte noch nie passiert. Es ist sehr ungewohnt, aber nicht unangenehm.
Auf der Fahrt nach Arnstadt geraten wir auf der Autobahn in einen wunderbaren Regenbogen. Leider schwenkt die A71 in diesem Moment leicht nach Norden ab, und wir werden uns nie dem Ende des Regenbogens nähern können, wo ich am Ende einen Topf mit einer sehr großen Gage vermute.
In Arnstadt angekommen finden wir alles vor wie vor zwei Jahren, und wie vor zwanzig. Auch Udo selbst hat keine auffälligen Veränderungen. Wir hoffen, die Udo-Anlage gibt noch immer einen brauchbaren Ton her, wir haben uns darauf verlassen und sind mit kleinen Autos gefahren.
Während des Aufbaus ist es sibirisch kalt in Udos Veranstaltungsraum. Wir holen uns extra Jacken aus dem Auto, um reingehen zu können. Trotzdem wird beim Aufbauen der Mund sehr trocken und man denkt über ein Bier nach. Aber Eileen quält sich so mit der Schankanlage rum dass da immer 3-4 uralte vorgezapfte Bier rumstehen. Bääh. Ich wage es und gehe an die Theke, bitte aber um ein Frisches. Kommentar – die sind frisch. Zack drei vorgezapfte zusammengekippt und dem doofen Musikanten in die Hand gedrückt. Würg. Es schmeckt nicht gerade ersprieslich. Dann lieber Wasser. Später mehr dazu.
Weiter während des Aufbaus erzählt uns Udo von einer jüngst vergangenen Veranstaltung, wo die Band nicht eben lange spielte. Um das Publikum noch bei Laune zu halten hat er die Leinwand runtergezogen und ein paar Live-Mitschnitte als Videos laufen lassen. Und nun hat er übelsten Ärger mit der GEMA – weil sowas richtig teuer ist. Da war wohl ein Mitarbeiter der GEMA im spärlichen Publikum. Ich erzähle ihm von Studenten, die sich was dazuverdienen als GEMA-Spitzel auf Veranstaltungen. Ha – sagt er – Sie säen nicht und ernten doch! Fand ich treffend und musste sehr lachen, weil mir solche Leute zuwider sind. Wobei das jetzt einen eigenen Artikel ergeben könnte, denn zuerst will die GEMA ja dem Künstler den Lohn für die Nutzung seiner Kunst verschaffen. Also dem eigentlich säenden etwas Ernte geben. Nur der Weg ist streitbar. Aber das führt hier viel zu weit.
Wir haben heute eine Vorband – Barmy Rote – mit denen wir schonmal in Fischbach spielten. Wo sie uns den Hals retteten. Wir haben ja die Angewohnheit, bei fast jeder Mugge EINE essenzielle Ausrüstung zu Hause zu vergessen. Historie: Basedrum, Bassgitarre, Beckensatz, Impfnachweis usw. In Fischbach war es der Koffer mit unseren sämtlichen Mikrofonen. Barmy Rote fuhren freundlicherweise zurück in ihren Proberaum und holten ihre. Nochmal rückwärts gewandtes Dankeschön!
Nun also heute. Der F war bereit, die Vorband einzubinden, solange er sie nicht mixen muss. Unsere eigenen Vorbereitungen dauern aber etwas lange. Unter Anderem rauscht der F den Raum ein. Wer Heinz Strunks „Fleisch ist mein Gemüse“ gelesen hat kennt das. Wer nicht, dem erkläre ich das jetzt auch nicht. Der F nimmt dafür ein ganz spezielles kleines Mikrofon. Fachnotiz am Rande: das Electro-Voice RE20, ein großes dickes langes Mikrofon, wird in Fachkreisen „Elefantenpimmel“ genannt. Des Fs Modell nenne ich mal Igelpimmel. Damit wird also der Ton vorbereitet. In Kombination von unserer und Udos Technik zaubert der F dann tatsächlich einen wirklich herrlichen und transparenten Ton. Ich bin platt.
Die Zeit ist knapp geworden. Um nicht noch mehr Umbauzeit zu generieren sagt der F Barmy Rote kurzerhand zu – los scheise ich mix euch noch mit. Also schnell alles fertiggestellt. Der uns mitgeteilte Plan lautete Barmy Rote 21-22 Uhr, wir dann nach Umbau.
Essen für die Bands ist bei Udo immer opulentest. Diesmal gibt es Schweinebraten mit Klößen und Sauerkraut und viel Soße. Die Klöße haben einen Durchmesser von 15 cm aufwärts ungelogen. Weil ich nicht sofort singen müssen werde esse ich auch normal mit. Udo erzählt von der Klaus Renft Combo, der gemeinsamen Verzehrung einer 16 kg Schweinekeule und der anschließenden Unfähigkeit der Band angemessen zu singen oder zu spielen. Er meint also ich soll lieber ruhig übriglassen, er packts mir ein.
Udos neuer Hund Pamela (Bug lebt nicht mehr) und ich verlieben sich ziemlich ineinander nach dem Essen. Er hat sie an der Ostsee irgendwelchen Überreichen als Hundehalter unfähigen abgerettet, denen sie den Garten umgepflügt hat nachdem aus dem niedlichen Welpen ein kapitaler Hund ward. Er bietet mir vom Fleck weg an den Hund erben zu werden. Was Unsinn ist, weil Udo erst stirbt wenn die Erde ein glühender Feuerball wird. Da bin ich schon lange weg.
Während all dies geschieht haben Barmy Rote noch immer nicht angefangen. Wie ich feststelle regelt Eileen vom Tresen aus den Ablauf des Abends. Nun ja. Als es losgehen soll steigt Udo noch auf die Bühne. Und macht ein paar ganz unterirdische Ansagen. „Rot-Grüne Terroristen die uns regieren“ ist noch harmlos. Am Schluss kommt: „Ich liebe euch alle. Aber nicht dass ihr denkt ich bin schwul. Ich hasse Schwule.“
Ich stehe mitten im Publikum. Vor mir der F um den Ton zu mixen mit dem Tablet. Ich frage ihn ins Ohr – wollen wir einpacken und abhauen? Er sagt – ich überlege auch.
Udo kommt von der Bühne an mir vorbei, sieht mich an und sagt – oh, ich weiß genau was los ist. Später wird er sagen „Ich hab gesehen wie Dein Gesicht eingefroren ist als ich das gesagt hab.“
Barmy Rote fangen an. Und erstens haben sie den besten Ton des Abends, weil der F die ganze Zeit mit dem Tablet dasteht und Nuancen nachregelt, zweitens machen sie alles richtig. Sie können spielen, sie haben Charisma, sie haben gute Songs. Saubere zweistimmige Gesänge, zweistimmige Gitarren-Leads, Groove, Melodie, interessanter Frontgesang. Metal richtig gut. Das Publikum ist etwas streng mit ihnen. Coverband-Publikum wahrscheinlich.
Nach einer Stunde Programm folgt der Umbau und geht flott wegen der Technikteilung. Bald stehen wir auf der Bühne und freuen uns auf den Heimkehr-Auftritt. Steffen steht im angrenzenden Billard-„Zimmer“ bereit und wartet auf den Start. Intro läuft los. Mangels entsprechender Lichtshow und Lichttechniker versuche ich immer zumindest einen stoischen und statischen Eindruck zu erwecken während des Intros, damit es einen gewissen optischen Effekt gibt, wenn die Band einsetzt zu Spielen und sich alle bewegen. Das habe ich oft gepredigt. Aber mir hört niemand zu. Und so zuppeln alle an ihren Instrumenten herum, trinken noch was, machen dies und jenes, während das Intro läuft. Naja so ist es immer. Wenn wir einen Lichttechniker dabei haben, macht der wenigstens dunkel. Da sieht mans nicht so.
Es geht los, Steffen springt plangemäß in seiner Schuljungen-Uniform aus dem Billardraum ins Publikum, und wir sind im Fahrwasser.
Ich überlege die ganze Zeit, wie ich mit Udos Ansagen umgehe. Das weiß ich bis heute nicht. Aber ich sage was in einer ersten Songpause. „Als Ergänzung zu Udos Ansprache will ich sehr deutlich sagen: WIR hassen Schwule NICHT. Wir lieben MENSCHEN. Solange sie freundlich sind und bereit nachzudenken.“ Es gibt kurz verhaltenen Applaus. Bei Udos Ansprache gab es sehr lauten. Vielleicht sind wir ganz falsch da im dunklen Thüringer Wald. Vielleicht sollten wir da gar nicht hinfahren.
Mit diesen Bauchschmerzen spielen wir. Meine Bauchschmerzen. Die Hütte ist dreiviertel voll, die Party schnell super.
Während eines Gitarrensolos hopse ich von der Bühne und stürme zur Bar um dem F und mir ein Bier zu holen. Eileen quält sich unvermindert mit dem Zapfhahn. Bier zapfen dauert hier gefühlt länger als brauen. Da ich mir vorher in der Wartezeit ein Bild von der Anlage gemacht habe (hintern Tresen geschielt) sehe ich jetzt auch wo’s klemmt. Ich erkläre ihr (Gitarrensolo läuft noch) dass sie mit dem – sie schreit mich an VERSCHWINDE HINTER DER THEKE – ich sage komplett falschen Zapfdruck fährt – sie schreit VERSCHWINDE ICH BIN SEIT 30 JAHREN KELLNERIN – ich saga naja aber so – sie schreit HAU AB – ich sage das kann so aber gar nicht gehen – sie schreit HAU JETZT SOFORT AB (Gitarrensolo läuft noch) – ich schreie ICH MACHE DAS BERUFLICH UND KENNE MICH DAMIT AUS – sie schreit IS MIR EGAL – ich schubse sie weg, drehe den Druckminderer hoch auf 1,8 bar, ich schreie, SO JETZT ZAPF! Sie zapft. Sie zapft in einem Zug ein perfektes Bier. Ich sage leise (Gitarrensolo läuft noch) – so, nun sag was. Sie sagt SEHR leise – dankeschön… *
Bier hab ich noch keins. Gitarrensolo geht zu Ende – SCHRECK. Eileen erkennt blitzartig die Problematik und bietet an das Bier zur Bühne nachzuliefern. Ich renne zurück. Gerade rechtzeitig.
Weil Barmy Rote eine halbe Stunde später angefangen haben und überhaupt alles immer später wird ist unsere vorbereitete Setlist viel zu lang. Wir müssen ganz viel rausschmeißen. Weil das zusammen mehr Spaß macht lasse ich das Publikum mitmachen. Immer wenn Streichungskandidaten kommen nenne ich zwei Songs, und das Publikum darf mit Geschrei abstimmen was gespielt wird. Manchmal wird zweimal gleich laut geschrien. Dann spielen wir eben beide Songs. Manchmal ist es eindeutig. Ich frage – wollt ihr „Given The Dog A Bone“? Leises Hüsteln. Ich frage – wollt ihr „Rock’n’Roll Singer“? Infernalisches Geschrei. Ich sage – ok, das war mal eindeutig, und nicke nach hinten zur Band. Alle fangen an und spielen Rock’n’Roll Singer. Nur Jochen spielt Given The Dog A Bone.
Jochen ist sich sicher und spielt stur weiter. Die anderen wundern sich warum es so rumpelt. Notgedrungen breche ich ab mangels Perspektive in diesem Moment. Ich stelle noch als rhetorische Frage ob wir es vielleicht so machen wollen, dass Robin einzählt und jeder von uns spielt sein Lieblingslied? Aber letztendlich kommen wir dann doch wieder zusammen. Meistens ist solch ein Fauxpas für das Publikum lustiger als lauter perfekte Songs in CD-Sound. Denn so merken sie, daß alles echt ist. Es darf nur nicht überhand nehmen.
Nachdem wir zwei Wochen gespielt haben ist das von Eileen gebrachte Bier alle und ich gehe wieder in einem Gitarrensolo zum Tresen um Nachschub zu holen. Diesmal schüttelt sie mit dem Kopf, wedelt mit den Armen und holt mich hinter den Tresen (Potzblitz, welche Umkehrung). Sie schreit mir ins Ohr (lautes Gitarrensolo) das Bier laufe schon wieder nicht richtig (jaja, plötzlich ist sie verwöhnt diesbezüglich). Ich solle mal schauen. Bin wohl nun der Schankanlagenbeauftragte. Ist aber leicht – CO2-Flasche ist leer. Sie ergreift Veranlassung, ich habe kein Bier, Gitarrensolo ist gleich zu Ende. Da fasst mich auf dem Rückweg ein Musikfreund und muss mir unbedingt Fotos auf seinem Handy zeigen. Ich erkläre dass das terminlich ganz schlecht ist, er hält mich aber fest und zeigt mir Crayfish Live-Fotos von 2004 (Gab es da überhaupt schon Smartphones?). Das ist der Hammer, aber da ich auf die Bühne und singen muss geht mir diese historische Chance leider durch die Lappen. Ich habe ihn nie wieder gesehen.
Nach Vollzug von Abbau und Konzertabrechnung kann ich noch ein paar Worte mit Udo wechseln zum Vorfall, obwohl ich gar nicht recht weiß ob ich das möchte. Aber irgendwie doch, Udo ist fast Familie für mich. Zur Politik diskutieren wir gar nicht. Aber zur Schwulen-Problematik. Er erzählt mir von einem Erlebnis. Als junger Mensch, DDR-Zeit, Zug-Fahrt, er allein in einem Abteil. Einer kommt rein und fragt ob noch frei wär. Udo sagt – klar! Der setzt sich rein. Und fängt dann an Udo massiv anzubaggern, dann anzufassen, und dann verbal unteriridisch anzugraben (lass ich hier weg). Damit will Udo seinen Schwulenhass entschuldigen. Es ist sehr spät und alle sind geschafft. Ich sage: „Jetzt hörst Du mir mal zu! Das was Du da erlebt hast machen sehr sehr viele Frauen jeden Tag durch, die müssen das immer neu erleben und damit klarkommen, und kein Mensch fragt danach. Das ist für viele Männer total normal. Du durftest mal erleben, wie es denen immer geht. Jetzt nimm diese Information mit heim in Dein Bett und schlaf mal drüber.“
Bei Abbau und Abreise waren wir alle etwas durch den Wind. Gar nicht unsere Art. Hust. Nein diesmal war es wirklich – anstregend. Es ist jetzt eine Woche vergangen, da ich das hier tippe. Und ich bin immer noch stinksauer, betrübt, vollwutig, traurig, unschlüssig, verwirrt, und verliebt in den Hund. Jedenfalls schlug unsere Zerstreutheit wieder zu. Bei Ausladung stellten wir fest, dass erstens des F Rucksack mit Klamotten, Tablet und Dokumenten fehlte. Zweitens mein Rucksack mit Klamotten und Dokumenten. Bei Telefonat am nächsten Morgen zeigte sich alles als in Arnstadt sichergestellt. Plus unser Backdrop. Das ist der große Lappen, der hinter der Band an der Wand hängt und auf dem „Crayfish“ steht. Den haben wir auch vergessen. Das ist uns noch nie passiert.
Der F fuhr Sonntag nach Arnstadt und holte alle Vergessenen ab.
* An alle Hobbyzapfer: Nicht dass jetzt jeder, der eine hat, seine Zapfanlage auf 1,8 bar CO2-Druck einstellt bloß weil ich das hier erzähle! Das war für diesen Einzelfall korrekt. Sucht im Zweifel Fachberatung!